Freitag, 28. Oktober 2011

Gregorys kleine Charakterkunde

Früher oder später merkt man beim kreativen Schreiben, dass der grundlegende Plot zu wenig ist, um einen ganzen Roman oder Film zu tragen. Selbst Geschichten, die - wie die Amerikaner das nennen - "story driven" sind, also von der Geschichte oder Action selbst bestimmt, brauchen glaubhafte Charaktere. Die rasanteste Action und der schrecklichste Horror sind wirkungslos, wenn dem Publikum die Handlungsfiguren nichts bedeuten.
Insofern ist eigentlich jede Erzählung "character driven", also von den Charakteren getragen. Charakter ist Plot, wie man auch sagt. Viele dramatische Ereignisse können sich aus den Verhaltensweisen einer Figur ergeben. Ein Sprung vom Wasserfall ist eben nur mit Höhenangst eine Überwindung.
Die Hauptfigur (Protagonist) muss in jedem Fall eine Hauptabsicht haben, also eine innere Motivation, die ihn antreibt. Um den inneren Konflikt des Protagonisten zu verstärken, und damit die Spannung zu steigern, muss der Autor nun alles versuchen, um den Protagonisten am Erreichen seines Ziels zu hindern. Er steckt sozusagen die Fahnen in den Slalom und baut ein paar Schikanen ein.
Um die Hauptfigur am Erreichen seines Ziels zu hindern und seine Hauptabsicht zu vereiteln, braucht jede gute Geschichte einen ebenbürtigen Gegenspieler: den Antagonisten. Seine Aufgabe ist es, der Hauptfigur eine scheinbar unüberwindliche Gegenabsicht in den Weg zu stellen. Somit ist die Gegenabsicht des Antagonisten gleichzeitig seine Hauptabsicht.
Beide Charaktere sollten einen inneren Konflikt haben, der sie am Weiterkommen hindert, das Vorhaben in Gefahr bringt und ihren Charakter vertieft. Das können Ängste sein, traumatische Erlebnisse, Eifersucht etc.
Wenn der innere Konflikt sowie alle anderen Elemente der erzählten Geschichte den Protagonisten verändern und in seiner Entwicklung beeinflussen, verleiht das noch mehr Tiefe. Keine Handlungsfigur sollte am Ende so sein wie am Anfang.
Außerdem brauchen sowohl Protagonist als auch Antagonist eine innere wie äußere Motivation.
Die innere Motivation ist beispielsweise der Drang einer Figur, eine Aufgabe zu meistern, weil möglicherweise sein Leben oder das Leben einer Nebenfigur davon abhängen. Oder der Zwang des Gegenspielers, den Helden (oder Antihelden) aus Hass zu vernichten.
Die äußere Motivation sind die Mächte, die die Figur daran hindern wollen, sein Ziel zu erreichen. Dabei darf der Autor nie aus den Augen verlieren, dass der Protagonist im Zentrum stehen muss. Der Feind muss zwar stark gezeichnet sein, bleibt aber doch eine Nebenfigur.
Was die äußere Motivation betrifft, sollte man sich vor dem "Deus ex machina", hüten, also dem Zufall. Kein Leser ist bereit, eine unerklärbare Schicksalswendung zu akzeptieren. Der Begriff, obwohl er Latein ist, kommt aus der griechischen Antike und bedeutet wörtlich "Gott aus der Maschine" und bezeichnete im griechischen Theater einen Schauspieler, der mit einer Hebebühne auf die Theaterbühne gehoben wurde, um dort als Gottheit in das Geschehen einzugreifen.

Zusammenfassend brauchen wir also:

1. Die Hauptabsicht
2. Die Gegenabsicht
3. Den inneren Konflikt
4. Den äußeren Konflikt
5. Die innere Motivation
6. Die äußere Motivation

Dazu natürlich einen guten Koch, der das ganze schmackhaft braten und stilvoll anrichten kann.
Selbstverständlich müssen am Ende alle Fäden zusammenlaufen und keines der oben genannten Elemente darf über das Finale der Geschichte hinaus reichen.

1 Kommentar:

  1. Auwei! Denke, ich muss noch ein bissl kochen lernen ;-)

    Lieben Dank für diese ausführliche und hilfreiche Anleitung

    Liebe Grüße
    Marietta

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