Dienstag, 29. November 2011

Unentdecktes Land: Die Phantasie des Lesers

Kreatives Schreiben erfordert die Fähigkeit flexibel zu sein. Man weiß nie, was im Kopf des Lesers ankommt. Die Vorstellung, den Leser vollkommen manipulieren zu können, erfüllt sich nicht. Man kann als Autor zwar Spannung planen, aber man weiß nie, ob die Eindrücke, die man beim Schreiben als Autor hat, auf den Leser genauso stark wirken wie auf den Autor selbst. Nicht jeder reagiert auf Urängste wie Höhenangst auf dieselbe Art.
So bleibt dem Autor letztlich keine andere Möglichkeit, als sich im Minimalismus zu üben und Gefühle, Ängste und Charaktereigenschaften so einfach wie möglich zu gestalten. Nur so vermeidet er eine Form der detailüberfüllten Beschreibung, die den Leser nicht fesselt sondern langweilt.
Im Leser Bilder und Gefühle entstehen zu lassen, ohne dabei als Autor diktatorisch zu sein, ist die Herausforderung beim Schreiben. Im Idealfall schafft man es, bei jedem Leser einen anderen Roman zu erzeugen.
Der Autor muss dem Leser die Möglichkeit geben, die eigene Phantasie einzusetzen.
Natürlich geht es auch darum, den Leser in die Falle zu locken. Man darf nicht vorhersehbar werden. Wenn der Leser dem Autor voraus ist, hat der Autor verloren.
Ein Roman wird bei tausend Lesern tausend verschiedene Wirkungen erzeugen.
Es gibt ein geheimnisvolles Land, in dem eine gute Erzählung lebt: Es liegt zwischen den Zeilen.

Donnerstag, 24. November 2011

Böse Vergangenheit

Zwangsläufig geht beim Erzählen von Rückblenden ein Teil der Spannung verloren. Wenn es dem Autor gelingt, den Erzählfluss im Lauf zu halten, kann jede kleine Rückschau das Interesse des Lesers kappen, als würde man beim Genuss einer Schokoladentorte auf ein Stück Räucheraal beissen.
Im Idealfall bewegt sich die Erzählung dahin wie ein großer Fluss oder ein Schweizer Uhrwerk.
Okay, ich höre jetzt mit den Metaphern auf. Versprochen. Bin sowieso kein Fan davon.
Nun könnte man als Autor sagen: "Dann lasse ich die Rückblenden eben weg und konzentriere mich auf den Plot." Das mag zwar eine gute Idee sein, aber dabei vergisst man einen wichtigen Stôrfaktor. Er versucht immer wieder, dem Autor alles zu verpfuschen:
Der Charakter.
Das Problem dabei ist: ohne ihn geht es nicht. Da jede literarische Figur, wie auch jeder Mensch, ein Vorleben hat, muss man auch seiner Handlungsfigur eines geben. Damit ist die Rückblende vorprogrammiert. Man könnte sogar sagen, die literarische Tradition des "Stream of Consciousness" sei eine einzige Rückblende. Die Frage ist: Wie weit darf man gehen und welche Auswirkungen hat dies auf die Erzählzeit?
Nichts ist beim Lesen störender als die Vorvergangenheit. Ich halte die Mitvergangenheit für die eleganteste Erzählzeit, da sie am wenigsten sperrig ist. Eine Litanei aus "hatte er gesagt und war er gegangen" ist auf die Dauer äußerst ermüdend. Lange Kapitel alssen sich so nicht schreiben.
In meinem Vampir-Liebesroman "Jenseits der Finsternis - Eine Vampir Romanze" habe ich mich des Tricks bedient, ein längeres Kapitel in Form einer visuellen Erinnerung zu schreiben:
"Jetzt sah er sich in seiner Erinnerung, wie er wieder vor dem herrschaftlichen Landsitz stand." danach folgen die grusligen Szenen.
Manchmal muss die Bildhaftigkeit über die Grammatik gebieten.
Trotzdem sollte die Rückblende kurz gehalten werden. Man kann auch eine effektive Charakterzeichnung knapp schildern. Ernest Hemingway war der Großmeister auf diesem Gebiet. Seine Zeichnung des Fischers Santiago ist eine Skizze mit äußerst starker Tiefenwirkung.
Natürlich kann man eine Charakterisierung auch extrem verkürzen wie Dan Brown. Sein Held Langdon leidet unter Platzangst, weil er als Kind in einen Brunnen gefallen ist. Für meinen Geschmack ist das Micky-Maus-Psychologie. Die Stärke dieses Autors sind eindeutig sein Einfallsreichtum und die Spannung, aber nicht die Charaktertiefe. Außerdem bedient er sich eines miesen Tricks. Er schreibt, Langdon sah aus wie Harrison Ford. Witzig, dass letztlich Tom Hanks die Rolle gespielt hat.
Es ist also wohl so, dass eine Charakterzeichnung ohne Rückblende unmöglich ist, aber sie muss kurz und spannend sein. Ich empfehle, Ereignisse aus dem Vorleben über den Roman zu verteilen und mit dem Plot zu verbinden. Ein Mensch mit zögerlichem Verhalten und Entscheidungsschwäche wird in einer gefährlichen Situation sicher anders reagieren als Lawrence von Arabien, der mit seinen Männern die Wüste durchquert und einen Überraschungsangriff wagt.
Ich stelle mir beim Schreiben immer die Frage: Wie kann ich aus einer Szene den maximalen Effekt heraus holen?
Und falls ein Roman erfolgreich ist, kann man aus der Vorgeschichte ja einen neuen Roman machen.

Dienstag, 15. November 2011

Träumen und planen

Ich habe mich lange mit der Frage beschäftigt: Wo befinde ich mich beim Schreiben?
Bin ich in meinem Kopf, im Computer, auf der Tastatur oder irgendwo dazwischen?
Ich habe festgestellt, dass ich mich auf zwei Ebenen bewege: Einer unterbewussten, künstlerischen, auf der nur die reine Kreativität zählt und einer analytischen, auf der das kritische Bewusstsein sofort zu zensieren beginnt. Und wenn es nur Tippfehler sind. Diese bewusste Ebene stört und verlangsamt den Arbeitsprozess. Leider ist es unmöglich, sie vollkommen auszuschalten.
Im besten Fall kann man den inneren Zensor trüb machen, aber ganz unsichtbar oder unhörbar wird er nie.
Im Unterbewussten befindet sich ein endloser Strom an Bildern, Gefühlen und Schmerzen, der in Worte übersetzt werden will. Ich wünschte, ich könnte hier ein Geheimrezept verraten. Der Trick besteht wohl darin, die inneren Bilder so schnell wie möglich festzuhalten, sei es in der Stoffsammlung, in einem Brainstorming oder direkt beim Schreiben.
Erst, wenn man aus den Tiefen des Unbewussten geschöpft hat, darf man sich die Erlaubnis zur Bewertung geben. Es ist unmöglich gleichzeitig zu arbeiten und zu überarbeiten.
Man kann nicht gleichzeitig träumen und planen.
Vielleicht macht gerade dieser Umstand das kreative Schreiben so schwierig und so lohnenswert. Es ist eine Reise vom Äußeren ins Innere und zurück. Und wie in der mythischen Heldenreise ist der Weg gepflastert mit Dornen, besetzt mit Schwellenwächtern und führt hinab in die dunkle Nacht der Seele.
Nobody said it was easy, wie es bei Coldplay heißt.
Die Raubtiere lauern in den Tiefen und an der Oberfläche.

Freitag, 4. November 2011

Das Böse im Spiegel

Bei der Entwicklung des Antagonisten ist es notwendig, ihn nicht in klischeehafter Weise als nur böse erscheinen zu lassen. Auch der Gegenspieler muss eine nachvollziehbare Hauptabsicht haben. Unter Umständen kann er sogar sympathische Züge tragen. Im Idealfall ist er ein Spiegelbild des Protagonisten.
Die negativen Aspekte des Helden im Gegner zu spiegeln ist besonders reizvoll. Insbesondere, wenn der Held seine dunklen Seiten entdecken und nutzen muss, um seinen Feind zu besiegen. Dadurch wird er selbst ein bisschen wie der Antagonist, was seinen Charakter bricht und ihm mehr Tiefe verleiht. Gute Romane sind immer Entwicklungsromane. Für Filme gilt dasselbe.
Nehmen wir zwei Beispiele. In dem James-Bond-Film "Der Mann mit dem goldenen Colt" ist Bonds Gegner Scaramanga ein Mann wie James Bond selbst. Er ist weltgewandt, ruchlos, ein zynischer Frauenheld. Und ein Killer. Im Grunde unterscheidet ihn nichts von Bond. Er tötet Verbrecher und wird dafür bezahlt. Trotzdem steht man als Zuschauer letztlich auf Bonds Seite. Er ist eben der Gute. Der Cowboy mit dem weissen Hut.
Natürlich sind die Bond-Filme letztlich so sehr "action-driven", dass wenig Platz für ausgefeilte Charakterzeichnungen bleibt, aber die Ähnlichkeit zwischen Bond und Scaramanga ist ist von der Grundidee folgerichtig. Wohl nicht zufällig spielt die Schlussszene in einem Spiegelkabinett.
Ähnlich verhält es sich mit Rene Belloq, dem Gegenspieler von Indiana Jones in "Jäger des verlorenen Schatzes". Auch er ähnelt dem Protagonisten sehr stark. Er ist ein Archäologe mit Sinn für die Bedeutung der Kulturschätze, er ist - genau wie Indy - ein Fanatiker, dem der Job und die alten Schätze wichtiger sind als seine Mitmenschen. Indys heimliche Liebe Marion ist Belloq keineswegs abgeneigt und - ebenso wie Indy - ist er bereit für seine Ideale sein Leben zu opfern. Im Gegensatz zu Indy wird ihm sein Fanatismus allerdings zum Verhängnis. Man könnte sogar sagen, in der Szene, in der die Bundeslade geöffnet wird, platzt er vor Neugierde.
Zum Finale hin muss sich der Antagonist eines Romans, Films oder jeder anderen Art von Erzählung vom Verständnis oder gar der Sympathie des Publikums entfernen. Irgendwann muss der böse Teil seines Charakters die Oberhand gewinnen. Nur so kann es zu einem packenden Showdown kommen. Man muss es lieben, den Feind zu hassen.
Dabei erinnern wir uns daran, dass Hauptabsichten und Gegenabsichten nicht über das Finale hinaus reichen dürfen. Die Fäden müssen zusammen laufen und letztlich zerschlagen werden wie der Gordische Knoten.